Holzbilder
seit 2017
„Wo finde ich einen Menschen, der die Worte vergisst, auf dass ich mit ihm reden kann?“ Zhuāngzi
Mit zunehmendem Alter erscheint mir das Wesentliche unsagbarer, oder genauer – das Unsagbare wesentlicher. Künstlerisch habe ich frühere Ausdrucksmedien zunehmend verlassen (zuletzt die publikumsinteraktive Theaterperformance) und bin zur Malerei zurückgekehrt. Ohne Worte auszukommen ist die grosse Freiheit der Malerei. Der Mensch, mit dem ich spreche, ist das Bild. Ich male nur für mich, lasse selten Besucher ins Atelier. Es unterbricht mein stilles Zwiegespräch mit dem Bild. Es ist, wie wenn zwei Liebende sich tief in die Augen schauen und ein Dritter betritt den Raum. Ich schäme mich; fühle mich ertappt. Ich kann mir zwar vorstellen, dass meine Bilder vielleicht auch anderen etwas zu sagen hätten, aber ich möchte nicht unbedingt dabei sein.
Mit zwölf Jahren fing ich an zu zeichnen und zu malen. Doch ich mochte die weisse leere Leinwand nicht. Ich benutzte lieber Malgründe, die bereits eine Struktur, ein Eigenleben und eine Geschichte hatten, auf die ich reagieren konnte. Ich zeichnete auf vergilbten, fleckigen Karton und malte auf bedruckte Stoffe, Liegestühle und weggeworfene Fensterläden aus Holz. Und auf weggeworfene Bilder, die ich in Brockenhäusern kaufte. Objekte, die eine Geschichte als Dinge des Gebrauchs hinter sich hatten, nun aber verworfen und unnütz waren. Dem Untergang geweiht, konnten sie, wie sterbende Sterne, zum Ausgangsmaterial für neue Galaxien werden. Das lud mich zum Malen ein.
Und natürlich die Struktur des Holzes. Im Dao heisst “Li” die Maserung des Holzes, auch „Holzbild“ genannt und wird als Strukturgesetz des Seins interpretiert. Die Maserung ist das Abbild der Jahresringe auf einem geschnittenen Stück Holz. Sie entsteht durch das natürliche Wuchsverhalten und durch Wuchsanomalien eines Baumes. Je nach Holzart wirkt sie schlicht, gewellt, gestreift, gefleckt, flammig oder gewimmert. Die Maserung ist zusätzlich abhängig von der Schnittrichtung, wobei im Querschnitt die Jahresringe, im Tangentialschnitt die Fladern und im Radialschnitt die Markstrahlen sichtbar werden. Die gewachsene Struktur des Holzes lassen sich mit Feuer verstärken. Diese alte Technik japanische Methode der Holzkonservierung heisst Yakisugi. Durch leichtes Verkohlen der Holzoberfläche wird das Holz durch die Karbonisierung wasserabweisend und haltbarer. Die karbonisierte Schicht schützt auch vor Insekten- und Pilzbefall. Yaki bedeutet ‚verbrennen‘, Sugi ist der japanische Name der ‚Sicheltanne‘. Wörtlich übersetzt heißt es „verbranntes Sicheltannenbrett“. Dabei wird eine Holzoberfläche durch kontrolliertes Verbrennen karbonisiert und anschließend mit Öl versiegelt. Die Metaphorik hinter Shou Sugi Ban ist in der japanischen Kultur tief verwurzelt. Es wird in westlichen Ländern teilweise auch als Shou Sugi Ban bezeichnet. Ich benütze Seekiefertannenplatten, die ich mit einem Gasbrenner so bearbeite, dass nur die weichen Holzschichten schwarz werden. So entstehen Muster, die mir als Ausgangspunkt für die Malerei dienen.
Für meine Holzbilder bevorzuge ich Sperrholzplatten aus Seekiefer. Sie sind billig, in jedem Baumark erhältlich und haben eine lebendige Maserung. Das Umklappen der Furnierschichten führt zu grossformatigen symmetrischen Formen, die meine Fantasie anregen. Wie in einem Rorschachtest sehe ich Gestalten von Mönchen, Köpfe von Dämonen, Brüste, Geschlechtsteile, Städte und Burgen, Himmel und Meere voller Monde und Sterne. Häufig sehe ich eine weit entfernte Landschaft. Ich – der Beobachter – bin weit weg. Ich schwebe wie eine Drohne über dem Vordergrund. Der Vordergrund und der Hintergrund erschliessen einen tiefen und fernen Raum, wie ich ihn in den Landschaften der Romantik liebe. Das Bild kann mit grossflächigem, lasurartigem Farbauftrag beginnen oder im Gegenteil mit einem winzigen Detail, das ich im Holz entdecke. Während des ganzen Malprozesses oszilliere ich zwischen den Farbflächen und den Details im Holz, zwischen den grossen und den kleinen Pinseln. Ich folge dem Holz und nicht einer vorgefassten Bildidee. So tauchen Überraschungen auf, denen ich folge. Auch in der Spätphase des Bildes, wenn vorne und hinten, oben und unten schon definiert sind, lasse ich mich gehen und durchbreche die Bildarchitektur wieder. Ich male nur das, was da ist, was ich wirklich sehe, nicht das, was ich malen will. Die Welt ist hier alles, was der Fall ist und nicht Wille und Vorstellung.
Eine andere Quelle visueller Bilder fliesst in meine Malerei ein. Ich nenne es hypnagoge Bilder und ich sehe sie kurz bevor ich einschlafe. Manchmal sind es kleine Szenen, die bei geschlossenen Augen in der Mitte des Sehfelds auftauschen, in einem Tunnel oder einer Art Höhle. Es sind Miniaturen, die für den Bruchteil einer Sekunde gestochen scharf vor dem Hintergrund des unscharfen Sehfeldes erscheinen, sich verwandeln und dann verschwinden. Diese kleinen, manchmal auch bewegten Bilder zeigen Gruppen von Menschen, die mich an Szenen in Gemälden der Renaissance erinnern. Ich setze diese Miniaturen gerne in meine Bilder ein – Figuren oder kleine Landschaften, die sich in kleinen Grotten und Höhlen im Bild einisten. Diese Bilder im Bild sind scharf gemalt und in einem anderenen Masstab als das Bildganze. Wie in der mittelalterlichen Malerei verlasse ich hier den perspektivischen Raum zugunsten eines Beudeutungsraumes, einer anderen Welt, die sich in die grossformatige Bildwirklichkeit eingenistet hat.
Wenn ich noch wach mit geschlossenen Augen daliege, beobachte ich auch Muster und Farben. Wenn ich male, versuche ich, diese Farben ins Bild zu setzen. Dazu muss ich meistens zunächst einen dunklen Hintergrund malen, über den dann hellere Farben lasierend aufgetragen werden. Denn die Farben, die ich hinter geschlossenen Augen sehe, erscheinen mir hell auf dunkel aufgebaut. Durch Berührung der geschlossenen Augen erscheinen wunderbare Farbübergänge und Nachbilder. Ich male, was ich mit geschlossenen Augen sehe. Die Strukturen des Holzes erlauben es mir, das Bild absichtslos und ohne ein vorgegebenes Motiv zu beginnen. Es ist wie eine Partie Schach. Mit meinem grössten Pinsel eröffne ich erste transparente Farbflächen mit verdünnter Ölfarbe, die sich mit zunehmenden Schichten zu Figuren oder Landschaften (meist zu beidem) entwickeln können. Ich folge dem Holz und male nur das, was mir das Holz “zeigt”. Der Massstab, die Perspektive, der Lichteinfall, die Technik und die Stimmung ändern innerhalb des Bildes häufig. Von Abstraktion zu Figuration und zurück. Es ist wie im Traum. Beim Malen pendelt meine Aufmerksamkeit schnell zwischen Auge und Hand. Das Gehirn schaltet dann in eine Art Traumzustand um. Das „Holzbild“ ist für diese Selbsthypnose besonders geeignet. Wenn ich in die Holzmuster eintauche, gerate ich in einen veränderten, dissotiativen Bewusstseinszustand. Ich verlasse die Regeln eines „vernünftigen“ Bildaufbaus zugunsten eines psychedelischen Sehens. Ich male, um diesen Zustand zu erleben. Als kleiner Junge sass ich gerne auf der Toilette meiner Grossmutter und starrte die Tür an. Die weisse Farbe der Türe war alt und zersprungen, craquellé würde man sagen. Die Toilette war klein und mein Kopf nahe an der Türe, so dass ich die vielen kleinen Rissmuster an der Türe nur unscharf sah. Diese Türe öffnete mir die Welt der Fantasie, der visuellen Extase. Intensität findet immer ihr Medium. Ich fand das Holz und darin ein ganzes Universum. Die Sperrholzplatte ist mein James Webb Teleskop. Ich male, um den Kosmos zu betrachten.
„Wo finde ich einen Menschen, der die Worte vergisst, auf dass ich mit ihm reden kann?“ Zhuāngzi
Mit zunehmendem Alter erscheint mir das Wesentliche unsagbarer, oder genauer – das Unsagbare wesentlicher. Künstlerisch habe ich frühere Ausdrucksmedien zunehmend verlassen (zuletzt die publikumsinteraktive Theaterperformance) und bin zur Malerei zurückgekehrt. Ohne Worte auszukommen ist die grosse Freiheit der Malerei. Der Mensch, mit dem ich spreche, ist das Bild. Ich male nur für mich, lasse selten Besucher ins Atelier. Es unterbricht mein stilles Zwiegespräch mit dem Bild. Es ist, wie wenn zwei Liebende sich tief in die Augen schauen und ein Dritter betritt den Raum. Ich schäme mich; fühle mich ertappt. Ich kann mir zwar vorstellen, dass meine Bilder vielleicht auch anderen etwas zu sagen hätten, aber ich möchte nicht unbedingt dabei sein.
Mit zwölf Jahren fing ich an zu zeichnen und zu malen. Doch ich mochte die weisse leere Leinwand nicht. Ich benutzte lieber Malgründe, die bereits eine Struktur, ein Eigenleben und eine Geschichte hatten, auf die ich reagieren konnte. Ich zeichnete auf vergilbten, fleckigen Karton und malte auf bedruckte Stoffe, Liegestühle und weggeworfene Fensterläden aus Holz. Und auf weggeworfene Bilder, die ich in Brockenhäusern kaufte. Objekte, die eine Geschichte als Dinge des Gebrauchs hinter sich hatten, nun aber verworfen und unnütz waren. Dem Untergang geweiht, konnten sie, wie sterbende Sterne, zum Ausgangsmaterial für neue Galaxien werden. Das lud mich zum Malen ein.
Und natürlich die Struktur des Holzes. Im Dao heisst “Li” die Maserung des Holzes, auch „Holzbild“ genannt und wird als Strukturgesetz des Seins interpretiert. Die Maserung ist das Abbild der Jahresringe auf einem geschnittenen Stück Holz. Sie entsteht durch das natürliche Wuchsverhalten und durch Wuchsanomalien eines Baumes. Je nach Holzart wirkt sie schlicht, gewellt, gestreift, gefleckt, flammig oder gewimmert. Die Maserung ist zusätzlich abhängig von der Schnittrichtung, wobei im Querschnitt die Jahresringe, im Tangentialschnitt die Fladern und im Radialschnitt die Markstrahlen sichtbar werden. Die gewachsene Struktur des Holzes lassen sich mit Feuer verstärken. Diese alte Technik japanische Methode der Holzkonservierung heisst Yakisugi. Durch leichtes Verkohlen der Holzoberfläche wird das Holz durch die Karbonisierung wasserabweisend und haltbarer. Die karbonisierte Schicht schützt auch vor Insekten- und Pilzbefall. Yaki bedeutet ‚verbrennen‘, Sugi ist der japanische Name der ‚Sicheltanne‘. Wörtlich übersetzt heißt es „verbranntes Sicheltannenbrett“. Dabei wird eine Holzoberfläche durch kontrolliertes Verbrennen karbonisiert und anschließend mit Öl versiegelt. Die Metaphorik hinter Shou Sugi Ban ist in der japanischen Kultur tief verwurzelt. Es wird in westlichen Ländern teilweise auch als Shou Sugi Ban bezeichnet. Ich benütze Seekiefertannenplatten, die ich mit einem Gasbrenner so bearbeite, dass nur die weichen Holzschichten schwarz werden. So entstehen Muster, die mir als Ausgangspunkt für die Malerei dienen.
Für meine Holzbilder bevorzuge ich Sperrholzplatten aus Seekiefer. Sie sind billig, in jedem Baumark erhältlich und haben eine lebendige Maserung. Das Umklappen der Furnierschichten führt zu grossformatigen symmetrischen Formen, die meine Fantasie anregen. Wie in einem Rorschachtest sehe ich Gestalten von Mönchen, Köpfe von Dämonen, Brüste, Geschlechtsteile, Städte und Burgen, Himmel und Meere voller Monde und Sterne. Häufig sehe ich eine weit entfernte Landschaft. Ich – der Beobachter – bin weit weg. Ich schwebe wie eine Drohne über dem Vordergrund. Der Vordergrund und der Hintergrund erschliessen einen tiefen und fernen Raum, wie ich ihn in den Landschaften der Romantik liebe. Das Bild kann mit grossflächigem, lasurartigem Farbauftrag beginnen oder im Gegenteil mit einem winzigen Detail, das ich im Holz entdecke. Während des ganzen Malprozesses oszilliere ich zwischen den Farbflächen und den Details im Holz, zwischen den grossen und den kleinen Pinseln. Ich folge dem Holz und nicht einer vorgefassten Bildidee. So tauchen Überraschungen auf, denen ich folge. Auch in der Spätphase des Bildes, wenn vorne und hinten, oben und unten schon definiert sind, lasse ich mich gehen und durchbreche die Bildarchitektur wieder. Ich male nur das, was da ist, was ich wirklich sehe, nicht das, was ich malen will. Die Welt ist hier alles, was der Fall ist und nicht Wille und Vorstellung.
Eine andere Quelle visueller Bilder fliesst in meine Malerei ein. Ich nenne es hypnagoge Bilder und ich sehe sie kurz bevor ich einschlafe. Manchmal sind es kleine Szenen, die bei geschlossenen Augen in der Mitte des Sehfelds auftauschen, in einem Tunnel oder einer Art Höhle. Es sind Miniaturen, die für den Bruchteil einer Sekunde gestochen scharf vor dem Hintergrund des unscharfen Sehfeldes erscheinen, sich verwandeln und dann verschwinden. Diese kleinen, manchmal auch bewegten Bilder zeigen Gruppen von Menschen, die mich an Szenen in Gemälden der Renaissance erinnern. Ich setze diese Miniaturen gerne in meine Bilder ein – Figuren oder kleine Landschaften, die sich in kleinen Grotten und Höhlen im Bild einisten. Diese Bilder im Bild sind scharf gemalt und in einem anderenen Masstab als das Bildganze. Wie in der mittelalterlichen Malerei verlasse ich hier den perspektivischen Raum zugunsten eines Beudeutungsraumes, einer anderen Welt, die sich in die grossformatige Bildwirklichkeit eingenistet hat.
Wenn ich noch wach mit geschlossenen Augen daliege, beobachte ich auch Muster und Farben. Wenn ich male, versuche ich, diese Farben ins Bild zu setzen. Dazu muss ich meistens zunächst einen dunklen Hintergrund malen, über den dann hellere Farben lasierend aufgetragen werden. Denn die Farben, die ich hinter geschlossenen Augen sehe, erscheinen mir hell auf dunkel aufgebaut. Durch Berührung der geschlossenen Augen erscheinen wunderbare Farbübergänge und Nachbilder. Ich male, was ich mit geschlossenen Augen sehe. Die Strukturen des Holzes erlauben es mir, das Bild absichtslos und ohne ein vorgegebenes Motiv zu beginnen. Es ist wie eine Partie Schach. Mit meinem grössten Pinsel eröffne ich erste transparente Farbflächen mit verdünnter Ölfarbe, die sich mit zunehmenden Schichten zu Figuren oder Landschaften (meist zu beidem) entwickeln können. Ich folge dem Holz und male nur das, was mir das Holz “zeigt”. Der Massstab, die Perspektive, der Lichteinfall, die Technik und die Stimmung ändern innerhalb des Bildes häufig. Von Abstraktion zu Figuration und zurück. Es ist wie im Traum. Beim Malen pendelt meine Aufmerksamkeit schnell zwischen Auge und Hand. Das Gehirn schaltet dann in eine Art Traumzustand um. Das „Holzbild“ ist für diese Selbsthypnose besonders geeignet. Wenn ich in die Holzmuster eintauche, gerate ich in einen veränderten, dissotiativen Bewusstseinszustand. Ich verlasse die Regeln eines „vernünftigen“ Bildaufbaus zugunsten eines psychedelischen Sehens. Ich male, um diesen Zustand zu erleben. Als kleiner Junge sass ich gerne auf der Toilette meiner Grossmutter und starrte die Tür an. Die weisse Farbe der Türe war alt und zersprungen, craquellé würde man sagen. Die Toilette war klein und mein Kopf nahe an der Türe, so dass ich die vielen kleinen Rissmuster an der Türe nur unscharf sah. Diese Türe öffnete mir die Welt der Fantasie, der visuellen Extase. Intensität findet immer ihr Medium. Ich fand das Holz und darin ein ganzes Universum. Die Sperrholzplatte ist mein James Webb Teleskop. Ich male, um den Kosmos zu betrachten.