Kunst macht frei
1991–1992
Kurz nach der Wende starb meine Grossmutter väterlicherseits, nicht ohne zu erleben, dass sie das Haus in Kyjov, das ihr von den Kommunisten weggenommen und «verstaatlicht» wurde. Das war eine grosse Genugtuung. Sie konnte dann sterben.
Schon als Kind schlich ich mich gerne in den Dachboden des Hauses. Dort war es dunkel und im Sommer warm und alles war voll von Geheimnissen. Unter einer dicken Staubschicht lagen dort die Schätze von Generationen. Ich fand den Zahnarztstuhl meines Grossvater Rudolf Buxbaum, den ich nicht kennenlernen konnte, weil er als Jude in Ljublin Majdanek 1942 umgebracht wurde. In einer Schachtel waren schwarze Papierblumen gelagert, die meine Urgrossmutter herstellte und die bei Begräbnissen gebraucht wurden. Die Urgrosseltern Kopecny führten das prosperierende Begräbnisinstitut «Pieta». Ebenso für Begräbnisse bestimmt waren Pferdegeschirre und riesige schwarze Umhänge, die den Pferden über die Rücken gelegt wurden. In vielen Schränken, Truhen und Kisten fand ich Briefe, Ordner, Zeitschriften und Fotografien, die ich als Kind stundenlang studierte.
Nun wurde dieser Schatz der Ahnen mit dem Haus mein Besitz. Damals beschäftigte ich mit Erinnerungen, mit Geschichte. Was tun? Ausmisten und alles Wegwerfen? Nein! Ich bestellte einen Lastwagen. Der Dachboden der Grossmutter wurde eingeladen und in die Schweiz transportiert. Meine Mutter, die mamals zwischen Baden und Karlstejn pendelte, wo sie ihren betagten Vater pflegte, fuhr mit. Als der Schweizer Zöllner den Inhalt des Lastwagens sah, soll er drei Schritte rückwärts gemacht und sich bekreuzigt haben. Meine Mutter versuchte zu beschwichtigen: «Sehen Sie, was ich für einen verrückten Sohn habe?» Das ist Müll, lauter Müll. Und er gibt Geld aus, um es in die Schweiz zu fahren. Ganz verrückt! Und ich muss das ausbaden.» Zoll bezahlen mussten wir nicht.
Der Lastwagen fuhr nach Aarau. Dort hatt ich im Kunstraum Aarau eine Ausstellung. Aus dem Müll der Ahnen baute ich eine Ahnenhütte. Es war gemütlich. Stühle, ein Tisch und viel Slivovic – ebenfalls aus dem Nachlass der Grossmutter. Sogar der Offen der Grossmutter funktionierte, nachdem wir ein Abzugsrohr durch ein Fenster des Kunstraum verlegt haben. Die Exiltschechen kamen. Wir verheizten die Reste der Möbel, die für die Hütte geopfert wurden. Erde zu Erde und Asche zu Asche. Wir trafen uns in der Hütte, tranken Slivovic und erzählten Geschichten – Erinnerungen.
Als die Ausstellung zu Ende war kam der Lastwagen wieder. Die nächste Station war das Centre Pasquart – Kunsthaus Biel, wo ich eine grosse Einzelausstellung in acht Räumen machen durfte. Wir trugen alles in einen der Räume und ich stellte einen Holzbock auf und eine Säge, die ich auf dem Dachboden fand. Die Ahnenhütte wurde dort zu Kleinholz verarbeitet. Mit einem Brandeisen brannte ich den Holzstücken die Schrift KUNST MACHT FREI ein. Was mal ein Baum gewesen war, dann zu einem Möbel wurde, einem Tisch oder einem Schrank meines Urgrossvaters, wurde nun wieder zu Holz, befreit auch von meinem Urgrossvater.
Nach Biel musste nur noch ein kleiner Lieferwagen kommen. Das Kleinholz hatte in einigen Kisten Platz. Dann waren noch einige Möbel da, ein alter Fernsehen, ein Paar Koffer mit Dokumenten, die Schuhe des Grossvaters, meinen Nachttopf. Es ging zurück in die Tschechoslowakei, nach Brünn. Dort hatte ich eine Ausstellung in der berühmten Undergroundgalerie «Na Bidylku», die während der kommunistischen Diktatur unbehelling Jahrzehnte lang verbotene Künstler gezeigt hatte. Der Galerieraum hatte einen rechteckigen Grundriss. Ich baute in der Mitte des Raumes ein Gestell, das den Raum in zwei teilte. In das Gestell packten wir alles hinein, die Kisten, die Fernseher und Koffer. Die Besucher kamen bis zum Gestell. Durch die Lücken zwischen den Objekten der Ahnen konnten sie die andere Hälfte des Raums sehen. Dort war es leer.
Nach der Ausstellung «Na Bidylku» holte ich den Lieferwagen für die letzte Fahrt. Von Brünn sind es nur noch 30 km nach Kyjov. Wir brachten alles zurück, von wo es herkam. Auf den Dachboden der Grossmutter. Und dort ist es heute noch. Und wenn sie nicht gestorben sind…
Kurz nach der Wende starb meine Grossmutter väterlicherseits, nicht ohne zu erleben, dass sie das Haus in Kyjov, das ihr von den Kommunisten weggenommen und «verstaatlicht» wurde. Das war eine grosse Genugtuung. Sie konnte dann sterben.
Schon als Kind schlich ich mich gerne in den Dachboden des Hauses. Dort war es dunkel und im Sommer warm und alles war voll von Geheimnissen. Unter einer dicken Staubschicht lagen dort die Schätze von Generationen. Ich fand den Zahnarztstuhl meines Grossvater Rudolf Buxbaum, den ich nicht kennenlernen konnte, weil er als Jude in Ljublin Majdanek 1942 umgebracht wurde. In einer Schachtel waren schwarze Papierblumen gelagert, die meine Urgrossmutter herstellte und die bei Begräbnissen gebraucht wurden. Die Urgrosseltern Kopecny führten das prosperierende Begräbnisinstitut «Pieta». Ebenso für Begräbnisse bestimmt waren Pferdegeschirre und riesige schwarze Umhänge, die den Pferden über die Rücken gelegt wurden. In vielen Schränken, Truhen und Kisten fand ich Briefe, Ordner, Zeitschriften und Fotografien, die ich als Kind stundenlang studierte.
Nun wurde dieser Schatz der Ahnen mit dem Haus mein Besitz. Damals beschäftigte ich mit Erinnerungen, mit Geschichte. Was tun? Ausmisten und alles Wegwerfen? Nein! Ich bestellte einen Lastwagen. Der Dachboden der Grossmutter wurde eingeladen und in die Schweiz transportiert. Meine Mutter, die mamals zwischen Baden und Karlstejn pendelte, wo sie ihren betagten Vater pflegte, fuhr mit. Als der Schweizer Zöllner den Inhalt des Lastwagens sah, soll er drei Schritte rückwärts gemacht und sich bekreuzigt haben. Meine Mutter versuchte zu beschwichtigen: «Sehen Sie, was ich für einen verrückten Sohn habe?» Das ist Müll, lauter Müll. Und er gibt Geld aus, um es in die Schweiz zu fahren. Ganz verrückt! Und ich muss das ausbaden.» Zoll bezahlen mussten wir nicht.
Der Lastwagen fuhr nach Aarau. Dort hatt ich im Kunstraum Aarau eine Ausstellung. Aus dem Müll der Ahnen baute ich eine Ahnenhütte. Es war gemütlich. Stühle, ein Tisch und viel Slivovic – ebenfalls aus dem Nachlass der Grossmutter. Sogar der Offen der Grossmutter funktionierte, nachdem wir ein Abzugsrohr durch ein Fenster des Kunstraum verlegt haben. Die Exiltschechen kamen. Wir verheizten die Reste der Möbel, die für die Hütte geopfert wurden. Erde zu Erde und Asche zu Asche. Wir trafen uns in der Hütte, tranken Slivovic und erzählten Geschichten – Erinnerungen.
Als die Ausstellung zu Ende war kam der Lastwagen wieder. Die nächste Station war das Centre Pasquart – Kunsthaus Biel, wo ich eine grosse Einzelausstellung in acht Räumen machen durfte. Wir trugen alles in einen der Räume und ich stellte einen Holzbock auf und eine Säge, die ich auf dem Dachboden fand. Die Ahnenhütte wurde dort zu Kleinholz verarbeitet. Mit einem Brandeisen brannte ich den Holzstücken die Schrift KUNST MACHT FREI ein. Was mal ein Baum gewesen war, dann zu einem Möbel wurde, einem Tisch oder einem Schrank meines Urgrossvaters, wurde nun wieder zu Holz, befreit auch von meinem Urgrossvater.
Nach Biel musste nur noch ein kleiner Lieferwagen kommen. Das Kleinholz hatte in einigen Kisten Platz. Dann waren noch einige Möbel da, ein alter Fernsehen, ein Paar Koffer mit Dokumenten, die Schuhe des Grossvaters, meinen Nachttopf. Es ging zurück in die Tschechoslowakei, nach Brünn. Dort hatte ich eine Ausstellung in der berühmten Undergroundgalerie «Na Bidylku», die während der kommunistischen Diktatur unbehelling Jahrzehnte lang verbotene Künstler gezeigt hatte. Der Galerieraum hatte einen rechteckigen Grundriss. Ich baute in der Mitte des Raumes ein Gestell, das den Raum in zwei teilte. In das Gestell packten wir alles hinein, die Kisten, die Fernseher und Koffer. Die Besucher kamen bis zum Gestell. Durch die Lücken zwischen den Objekten der Ahnen konnten sie die andere Hälfte des Raums sehen. Dort war es leer.
Nach der Ausstellung «Na Bidylku» holte ich den Lieferwagen für die letzte Fahrt. Von Brünn sind es nur noch 30 km nach Kyjov. Wir brachten alles zurück, von wo es herkam. Auf den Dachboden der Grossmutter. Und dort ist es heute noch. Und wenn sie nicht gestorben sind…