Mein Kunst—Totale Kunst
1989–1999
Nach dem Fall des kommunistischen Regimes im November 1989 verbrachte Roman Buxbaum viel Zeit in Prag. Er schloss Freundschaft mit den wichtigsten Persönlichkeiten der neu entstandenen und schließlich freien zeitgenössischen Kunstszene, wie dem Künstler Jiří David oder dem Kuratorenpaar Jana Ševčíková und Jiří Ševčík.
Er wurde 1991 eingeladen, in den neuen freien Galerien in Prag wie „U Řečických“ auszustellen, und acht Jahre später, 1999, zeigte er eine Einzelausstellung in der Galerie Rudolfinum, der lange Zeit einzigen Kunsthalle in Prag.
Buxbaum erinnert sich an die Ausstellung U Řečických: „Ich habe dort die Arbeit ‚Polohlavy – Half Heads‘ gezeigt. Diese Installation ist aus Objekten entstanden, die ich in einem Nachbarhaus in der Nähe der Galerie entdeckt habe. In dem Haus befand sich ein kommunistischer Verlag, der nach der Revolution geschlossen wurde. Das Haus war menschenleer. Überall standen die typischen Möbel der 1960er Jahre. In einem der Schränke fand ich eine Schachtel mit sorgfältig geordneten Karten, auf denen Wörter in Polnisch und Tschechisch standen. Offenbar lernte ein Angestellter Polnisch und fertigte diese Karten zum Üben an. Das Bild auf der Rückseite der Karten war interessant. Es war die untere Hälfte des Kopfes von Josef Stalin und seines Gegenspielers Gottwald, Präsident der Tschechoslowakei bis 1956. Halbe Köpfe. Ich ließ von einem Glasschleifer kleine Standrahmen anfertigen und das Wort, das auf der anderen Seite stand, in das Glas einschleifen. Die Rahmen wurden dann in Schränke aus dem Büro des kommunistischen Verlags gestellt, wo ich die Karten fand. Zwischen den Schränken habe ich einen roten Teppich ausgelegt.“
*****
Die Ausstellung im Rudolfinum bezog sich auf einen anderen monströsen Diktator der Geschichte des 20. Jahrhunderts: Adolf Hitler.
„Ich interessierte mich besonders für den jungen Hitler – den gescheiterten Künstler. Soweit ich weiß, gibt es nur ein Buch aus den 1970er Jahren, das Hitlers gesamtes künstlerisches Schaffen dokumentiert, und das musste ich haben. Am Ende musste ich es aus einer Bibliothek stehlen. Es enthält alle seine Zeichnungen. Ich begann sie zu fotografieren und zu katalogisieren. Die Zeichnungen sind so schlecht, dass es nicht verwunderlich ist, dass Hitler zweimal von der Akademie abgelehnt wurde, sondern dass er sich zweimal beworben hat. Das zeigt, dass sein Bezug zur Realität schon damals gestört war und sein Ego fast wahnhaft war. Im Rudolfinum habe ich zwei Diaprojektionen gezeigt: ‚Die Türme‘ und ‚Die Mutter‘. Hitler zeichnete gerne Türme. Es gab Hunderte von ihnen. Ich habe sie übereinander projiziert und dabei ein- und ausgeblendet, so dass der Eindruck eines Turms entstand, der sich langsam veränderte. ‚Die Mutter‘ war eine komplexe Installation, die auf einer Madonna mit einem Kind im Arm basierte. Eine andere Installation beschäftigte sich mit der Fremdenfeindlichkeit der tschechischen Bevölkerung. Nach der Samtenen Revolution kamen viele Roma und Szinti aus Rumänien und Ungarn in die Tschechoslowakei. Die ‚Zigeuner‘ werden von den Tschechen gehasst, und es werden ständig neue rassistische Witze erfunden. Ich liebe jüdische Witze, seit ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war und Erika Landmanns DTV-Büchlein ‚Der jüdische Witz‘ und natürlich später Martin Buber gelesen habe. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Witze ähnlich, aber auch unterschiedlich sind. Die ‚Zigeunerwitze‘ werden von den Tschechen erzählt, die Judenwitze von den Juden. Ich wollte das untersuchen und bat einige junge Roma, mir vor der Kamera Witze zu erzählen, dann einige Holocaust-Überlebende und schließlich einige gebürtige Prager Deutsche (die die Deportationen nach den Beneš-Dekreten überlebt haben). Wir spielten die Interviews auf sechs Monitoren in einem Raum ab, so dass die Zuschauer von einem Witz zum nächsten wechseln konnten. Nur die Erzähler haben wirklich gelacht. In diesem Raum gab es auch ein Telefon. Es war ein schönes, altes Gerät aus den 1950er Jahren, aus schwarzem Bakelit, mit einer Wählscheibe natürlich und einem Spiralkabel. Ich habe es auch aus dem verlassenen Verlagshaus mitgenommen. Es stand auf einem Sockel und läutete ab und zu. Wir stellten ein Schild auf, auf dem wir die Ausstellungsbesucher aufforderten, den Hörer abzunehmen. Am Tag zuvor verteilten wir kleine Flugblätter in den U-Bahn-Stationen. Außerdem haben wir eine Anzeige in den Zeitungen geschaltet: ‚Haben Sie etwas gegen Zigeuner? Haben Sie etwas gegen Juden? Rufen Sie uns an! Tel: 02/248 933 15‘ Die Telefonnummer haben wir extra für diese Kampagne eingerichtet.“
– RB
Nach dem Fall des kommunistischen Regimes im November 1989 verbrachte Roman Buxbaum viel Zeit in Prag. Er schloss Freundschaft mit den wichtigsten Persönlichkeiten der neu entstandenen und schließlich freien zeitgenössischen Kunstszene, wie dem Künstler Jiří David oder dem Kuratorenpaar Jana Ševčíková und Jiří Ševčík.
Er wurde 1991 eingeladen, in den neuen freien Galerien in Prag wie „U Řečických“ auszustellen, und acht Jahre später, 1999, zeigte er eine Einzelausstellung in der Galerie Rudolfinum, der lange Zeit einzigen Kunsthalle in Prag.
Buxbaum erinnert sich an die Ausstellung U Řečických: „Ich habe dort die Arbeit ‚Polohlavy – Half Heads‘ gezeigt. Diese Installation ist aus Objekten entstanden, die ich in einem Nachbarhaus in der Nähe der Galerie entdeckt habe. In dem Haus befand sich ein kommunistischer Verlag, der nach der Revolution geschlossen wurde. Das Haus war menschenleer. Überall standen die typischen Möbel der 1960er Jahre. In einem der Schränke fand ich eine Schachtel mit sorgfältig geordneten Karten, auf denen Wörter in Polnisch und Tschechisch standen. Offenbar lernte ein Angestellter Polnisch und fertigte diese Karten zum Üben an. Das Bild auf der Rückseite der Karten war interessant. Es war die untere Hälfte des Kopfes von Josef Stalin und seines Gegenspielers Gottwald, Präsident der Tschechoslowakei bis 1956. Halbe Köpfe. Ich ließ von einem Glasschleifer kleine Standrahmen anfertigen und das Wort, das auf der anderen Seite stand, in das Glas einschleifen. Die Rahmen wurden dann in Schränke aus dem Büro des kommunistischen Verlags gestellt, wo ich die Karten fand. Zwischen den Schränken habe ich einen roten Teppich ausgelegt.“
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Die Ausstellung im Rudolfinum bezog sich auf einen anderen monströsen Diktator der Geschichte des 20. Jahrhunderts: Adolf Hitler.
„Ich interessierte mich besonders für den jungen Hitler – den gescheiterten Künstler. Soweit ich weiß, gibt es nur ein Buch aus den 1970er Jahren, das Hitlers gesamtes künstlerisches Schaffen dokumentiert, und das musste ich haben. Am Ende musste ich es aus einer Bibliothek stehlen. Es enthält alle seine Zeichnungen. Ich begann sie zu fotografieren und zu katalogisieren. Die Zeichnungen sind so schlecht, dass es nicht verwunderlich ist, dass Hitler zweimal von der Akademie abgelehnt wurde, sondern dass er sich zweimal beworben hat. Das zeigt, dass sein Bezug zur Realität schon damals gestört war und sein Ego fast wahnhaft war. Im Rudolfinum habe ich zwei Diaprojektionen gezeigt: ‚Die Türme‘ und ‚Die Mutter‘. Hitler zeichnete gerne Türme. Es gab Hunderte von ihnen. Ich habe sie übereinander projiziert und dabei ein- und ausgeblendet, so dass der Eindruck eines Turms entstand, der sich langsam veränderte. ‚Die Mutter‘ war eine komplexe Installation, die auf einer Madonna mit einem Kind im Arm basierte. Eine andere Installation beschäftigte sich mit der Fremdenfeindlichkeit der tschechischen Bevölkerung. Nach der Samtenen Revolution kamen viele Roma und Szinti aus Rumänien und Ungarn in die Tschechoslowakei. Die ‚Zigeuner‘ werden von den Tschechen gehasst, und es werden ständig neue rassistische Witze erfunden. Ich liebe jüdische Witze, seit ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war und Erika Landmanns DTV-Büchlein ‚Der jüdische Witz‘ und natürlich später Martin Buber gelesen habe. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Witze ähnlich, aber auch unterschiedlich sind. Die ‚Zigeunerwitze‘ werden von den Tschechen erzählt, die Judenwitze von den Juden. Ich wollte das untersuchen und bat einige junge Roma, mir vor der Kamera Witze zu erzählen, dann einige Holocaust-Überlebende und schließlich einige gebürtige Prager Deutsche (die die Deportationen nach den Beneš-Dekreten überlebt haben). Wir spielten die Interviews auf sechs Monitoren in einem Raum ab, so dass die Zuschauer von einem Witz zum nächsten wechseln konnten. Nur die Erzähler haben wirklich gelacht. In diesem Raum gab es auch ein Telefon. Es war ein schönes, altes Gerät aus den 1950er Jahren, aus schwarzem Bakelit, mit einer Wählscheibe natürlich und einem Spiralkabel. Ich habe es auch aus dem verlassenen Verlagshaus mitgenommen. Es stand auf einem Sockel und läutete ab und zu. Wir stellten ein Schild auf, auf dem wir die Ausstellungsbesucher aufforderten, den Hörer abzunehmen. Am Tag zuvor verteilten wir kleine Flugblätter in den U-Bahn-Stationen. Außerdem haben wir eine Anzeige in den Zeitungen geschaltet: ‚Haben Sie etwas gegen Zigeuner? Haben Sie etwas gegen Juden? Rufen Sie uns an! Tel: 02/248 933 15‘ Die Telefonnummer haben wir extra für diese Kampagne eingerichtet.“
– RB