Mutterdekonstruktivismus
2008
Als meine Mutter alt wurde, kehrte sie aus dem schweizer Exil in ihre tschechische Heimat zurück. Sie zog in das Haus ihrer Eltern, das sie geerbt hatte, in dem sie geboren wurde und wo sie schliesslich einige Jahre später auch starb, in das kleine Dorf Karlstejn nahe bei Prag, das für die grossartige Burg Karl des Vierten bekannt ist. Um unsere Kommunikation zu bereichern, kaufte ich der Mutter einen Computer mit einer eingebauten Kamera, was in den neunziger Jahren noch nicht selbstverständlich war. Damals gab es noch keine Mobiltelefone mit Kameras, keine Videochats und kein Whatsup. Aber das neue Programm Skype kam gerade auf den Markt und nach einigen Schwierigkeiten konnte ich das Gesicht meiner Mutter auf dem Bildschirm meines Apple Computers strahlen sehen. Es dauerte eine Weile, bis auch sie die richtigen Klicks mit der Maustaste gelernt hatte und auch sie mich und Anna sehen konnte.
Der zunehmende Prozess der Ablösung, den jeder Sohn erlebt, verdichtete sich für mich in einer Folge von Skypegesprächen. Aufgrund schlechter Datenübertragung kam es zu digitalen Zerrbildern, die meine Mutter dem näher brachten, wohin ich sie bereits abzugleiten sah: Ins Nichts. Die Natur der Mathemathik ist mit unseren Körpern wurderbar verbuden. Der Computer unterliegt den gleichen Gesetzen wie das Universum als Ganzes. Warum sollte es überraschen, dass die Technik zum Ausdruck bringt, was wir fühlen oder fürchten. Alles ist Eins. Leider haben die neuen Medien ihre transzendeten Fähigkeiten längst wieder verloren. Zu sehr haben wir sie an die Wirklichkeit ankettet. Das digitale Verschwinden des Anlitzes meiner Mutter hielt ich fest, indem ich auf der Tastatur Apfel/Schift/3 drückte – also einen Printscreen machte.
Meine Mutter war eine gottergebene tapfere Frau. Sie beklagte sich nie, ging aber vielen Jüngeren mächtig auf die Nerven. Das ist das Schicksal vieler Alten. Als sie verstorben war, liess ich sie nach katholischem Brauch in einem offenem Sarg aufbahren. Ich drückte ihr etwas Persönliches in die kalte, steife Hand und trug ihren Sarg zu Grabe. Noch einige Tage und Wochen blieb ihr Geist im Haus anwesend. (s. Souvenirs, in s. Kunstforum 230, S. 136 – 143). Lange nachdem meine Mutter verstorben war, liess ich diese Bilder auf quadratische Leinwände ausdrucken. Mutterdekonstruktivismus. Ein Moment der Vorahnung, nicht ohne Heiterkeit und Vorsehung, dass das Verschwinden doch etwas Gutes an sich hat. Das Verschwinden der Körper und das Verschwinden der Bilder.
Als meine Mutter alt wurde, kehrte sie aus dem schweizer Exil in ihre tschechische Heimat zurück. Sie zog in das Haus ihrer Eltern, das sie geerbt hatte, in dem sie geboren wurde und wo sie schliesslich einige Jahre später auch starb, in das kleine Dorf Karlstejn nahe bei Prag, das für die grossartige Burg Karl des Vierten bekannt ist. Um unsere Kommunikation zu bereichern, kaufte ich der Mutter einen Computer mit einer eingebauten Kamera, was in den neunziger Jahren noch nicht selbstverständlich war. Damals gab es noch keine Mobiltelefone mit Kameras, keine Videochats und kein Whatsup. Aber das neue Programm Skype kam gerade auf den Markt und nach einigen Schwierigkeiten konnte ich das Gesicht meiner Mutter auf dem Bildschirm meines Apple Computers strahlen sehen. Es dauerte eine Weile, bis auch sie die richtigen Klicks mit der Maustaste gelernt hatte und auch sie mich und Anna sehen konnte.
Der zunehmende Prozess der Ablösung, den jeder Sohn erlebt, verdichtete sich für mich in einer Folge von Skypegesprächen. Aufgrund schlechter Datenübertragung kam es zu digitalen Zerrbildern, die meine Mutter dem näher brachten, wohin ich sie bereits abzugleiten sah: Ins Nichts. Die Natur der Mathemathik ist mit unseren Körpern wurderbar verbuden. Der Computer unterliegt den gleichen Gesetzen wie das Universum als Ganzes. Warum sollte es überraschen, dass die Technik zum Ausdruck bringt, was wir fühlen oder fürchten. Alles ist Eins. Leider haben die neuen Medien ihre transzendeten Fähigkeiten längst wieder verloren. Zu sehr haben wir sie an die Wirklichkeit ankettet. Das digitale Verschwinden des Anlitzes meiner Mutter hielt ich fest, indem ich auf der Tastatur Apfel/Schift/3 drückte – also einen Printscreen machte.
Meine Mutter war eine gottergebene tapfere Frau. Sie beklagte sich nie, ging aber vielen Jüngeren mächtig auf die Nerven. Das ist das Schicksal vieler Alten. Als sie verstorben war, liess ich sie nach katholischem Brauch in einem offenem Sarg aufbahren. Ich drückte ihr etwas Persönliches in die kalte, steife Hand und trug ihren Sarg zu Grabe. Noch einige Tage und Wochen blieb ihr Geist im Haus anwesend. (s. Souvenirs, in s. Kunstforum 230, S. 136 – 143). Lange nachdem meine Mutter verstorben war, liess ich diese Bilder auf quadratische Leinwände ausdrucken. Mutterdekonstruktivismus. Ein Moment der Vorahnung, nicht ohne Heiterkeit und Vorsehung, dass das Verschwinden doch etwas Gutes an sich hat. Das Verschwinden der Körper und das Verschwinden der Bilder.